Gemeindenachricht

Aufforderung, tagtäglich den Weg des Friedens zu gehen




Die zentrale Feierstunde der Gemeinde zum Volkstrauertag fand in diesem Jahr am Gefallenenehrenmal in Reichenbach statt.

In seiner Ansprache sagte Bürgermeister Franz Masino:
"Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger, sehr geehrte Frau Pfarrerin Roller, sehr geehrter Herr Pfarrer Ret, werte GR und JGR, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Jugend,
immer zwei Sonntage vor dem Ersten Advent erinnert uns der Volkstrauertag an alle Opfer von Krieg und Gewalt, deren wir gedenken wollen. Zugleich ist er ein Tag des Nachdenkens darüber, wie wir heute auf Krieg und Gewalt reagieren und was wir – ganz persönlich, aber auch als reiches Land in einem freien und friedlichen Europa - für Freiheit und Menschlichkeit auf der Welt tun können. Aus diesem Grund haben wir uns heute hier am Kriegerdenkmal in Reichenbach eingefunden. Ich freue mich, dass Sie alle gekommen sind.
71 Jahre sind seit Kriegsende vergangen. Der Zweite Weltkrieg wirft auch heute noch einen langen Schatten. Er ist ein ferner, aber kein abgeschlossener Teil unserer Vergangenheit. Und denken wir auch daran, dass neben uns noch immer viele Opfer von Krieg und Gewalt leben. Nicht nur die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Nach wie vor werden Menschen in vielen Teilen der Welt Opfer von Willkür und Terror. Auch mit diesem gegenwärtigen Schrecken müssen wir uns am Volkstrauertag auseinandersetzen.
Dieses Innehalten ist umso wichtiger, wenn wir uns vor Augen halten, wie sich uns die Welt, ein Jahrhundert nach den ersten Schüssen des Ersten Weltkrieges – heute darstellt:
Grenzstreitigkeiten in der Ukraine, der seit Jahren anhaltende blutige Bürgerkrieg in Syrien, militärische Eskalation im Gaza-Streifen, die Schreckensherrschaft der Terroristen des Islamischen Staats im Nahen Osten: Sie sind nur die hervorstechendsten Beispiele einer Welt, in der nach wie vor viel zu viele Menschen Opfer von Krieg, Terror und Blutvergießen sind.
Die Zahl dieser Opfer ist unüberschaubar. Jeder einzelne Tote hatte seine Familie und seine Freunde, die um ihn trauern. Dies sollte uns die Tragweite des heutigen Tages bewusstmachen.
In unserer Gemeinde leben seit einigen Wochen und Monaten Flüchtlinge aus Syrien und anderen Kriegsstaaten. So ist der Nahostkonflikt bei uns angekommen. Wir sollten uns nicht darüber beklagen, diese Menschen aufnehmen zu müssen. Sie sind nicht gerne hierhergekommen. Ich bin davon überzeugt, dass sie viel lieber in einem friedlichen Syrien weitergelebt hätten. Wir sollten mit Ihnen reden, sie sollten uns von ihrem Schicksal erzählen.
Schicksale, die wir täglich via Bildschirm in unsere Wohnungen geliefert bekommen. Die Bilder lassen uns nicht kalt. Der kleine tote Junge, angeschwemmt wie ein Stück Treibholz am Strand. Bilder von toten Kindern in den zerbombten Trümmern von Alleppo und Mossul. Die Zahlen der Opfer, die beim Versuch über das Mittelmeer unser freies Europa zu erreichen, im größten Massengrab vor der europäischen Haustür, den Tod fanden.


Bürgermeister Franz Masino legte am Gefallenenehrenmal in Reichenbach im Beisein zahlreicher Waldbronner Bürger einen Kranz nieder.

Für die Menschen in den Kriegsgebieten ist von heute auf morgen nichts mehr so, wie es war. Und was ändert sich für uns? Menschen aus anderen Ländern stehen vor unserer Tür und bitten um Einlass. Sie flüchten vor Willkürherrschaft und Mördern. Die Entscheidung, ihre Heimat zu verlassen ist ihnen bestimmt nicht leichtgefallen, als sie sich auf eine gefährliche, oft tödliche Reise begeben haben. Sie waren wochen- oft monatelang unterwegs, haben auf ihrer Flucht viel Leid erfahren, haben gehungert und gefroren. Jetzt stehen sie vor unserer Haustür und wollen Frieden und Sicherheit, Arbeit und Brot.
Was bedeutet das für uns Deutsche, die wir seit Jahrzehnten in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben? Sicherlich geht es vielen von Ihnen so, wie es mir derzeit ergeht: Ich bin zweigeteilt zwischen unendlichem Mitleid mit diesen Flüchtlingen einerseits und der Frage, ob wir die ganze Welt retten können, andererseits.
Betrachtet man die aktuelle Debatte um Flüchtlinge, liegt der Fokus nebst dem Leiden der Betroffenen vor allem auf den entstehenden Lasten in den europäischen Ländern. Asylsuchende belasten den Sozialstaat, belasten unsere Gemeindekasse und verursachen Mehrkosten für Grenzschutz und Polizei, so der Tenor.
Wir haben die zutiefst menschliche und christliche Pflicht, unseren Beitrag zu leisten, den Menschen zu helfen, die in akuter Not sind. Auch dann, wenn die Solidarität dazu führt, dass wir etwas von unserem Wohlstand teilen müssen.
Und wir können uns nicht abschotten. Wir können und wir wollen keine Zäune ziehen und neue Mauern bauen. Sie würden eingerissen werden.
Und, auch wenn der Ansturm der Flüchtlinge groß ist, er wird uns nicht zerreißen. Und wir dürfen uns von jenen, die diese Situation für ihre rückwärtsgewandte Politik ausschlachten, nicht zerreißen lassen.
Lassen Sie uns diese Einwanderungen aber auch als Chance für unsere Gesellschaft verstehen: Die Menschen, aus fremden Kulturen kommend, fördern Innovation, weil sie neue Perspektiven einbringen. Dann erhöhen die zusätzlichen Arbeitskräfte die Wirtschaftsleistung. Schlecht qualifizierte Immigranten übernehmen nicht nur minderwertige Jobs, sie bieten auch günstige Leistungen an wie gerade in der Altenpflege. Und der volkswirtschaftliche Nutzen hoch qualifizierter Einwanderer ist unbestritten. Des Weiteren wird die Überalterung der europäischen Bevölkerung zu einem zusätzlichen Bedarf an Arbeitskräften führen.
Anerkannte Asylsuchende müssen wir schnellstens integrieren. Eine Hauptforderung ist das Erlernen der deutschen Sprache. Die Kinder brauchen Bildung in der Schule. Berufliche Qualifikation der arbeitsfähigen Menschen ist gefordert; hierzu gehört auch der Abbau von Hemmnissen wie sie die deutsche Wirtschaft beklagt. All dies sind Mindestvoraussetzungen, um keine Zweiklassen- oder Parallelgesellschaft entstehen zu lassen. Aber dies gilt nicht nur für unsere Bundesrepublik. Hier ist Europa gefordert. Ein geeintes Europa.
Ich empfinde es als fahrlässig, um nicht zu sagen verrückt, die gesamte europäische Idee in Frage zu stellen, nur weil in diesen Tagen nicht alles reibungslos funktioniert. Die Europäische Union ist kein Garant für ein konfliktfreies Miteinander in jeder Beziehung und jeder Situation und doch hat uns diese gemeinsame Idee in den letzten 71 Jahren Frieden beschert. Dies sollte Erfolgsbeweis genug und Ansporn sein.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Insofern sind wir alle aufgefordert unseren Beitrag zum Erhalt des Friedens zu leisten. Für ein friedvolles, soziales Miteinander sind Achtung und Toleranz gegenüber unseren Mitmenschen unabhängig von ethnischer Herkunft oder persönlichen Weltanschauungen entscheidend. Im Kleinen wie im Großen.
Das wollen wir uns im Gedächtnis und im Herzen bewahren, wenn wir heute den Volkstrauertag begehen. Wir können den Frieden nur bewahren, wenn wir aktiv für ihn eintreten. Das gilt in der großen Weltpolitik genauso wie im kleinen Rahmen unseres täglichen Lebens.
Meine Damen und Herren, unsere gemeinsame Erinnerung am Volkstrauertag an die Millionen Toten muss uns die persönliche Aufforderung sein, tagtäglich den Weg des Friedens zu gehen – ein Weg, der lang und beschwerlich, aber darum nicht weniger lohnenswert ist."

Mit Worten der Besinnung, einer Lesung und einem Gebet regten Pfarrerin Bettina Roller und Pfarrer Torsten Ret zum Nachdenken an.
Zur Melodie von "Ich hat einen Kameraden" legte der Bürgermeister einen Kranz nieder. Er bedankte sich zum Ende bei allen, die zum Gelingen der Feierstunde beigetragen haben. Die Feierstunde selbst endete mit der gemeinsam gesungenen Nationalhymne.