Gemeindenachricht
Über die hohe Kunst der Fädenzieherei – Liebenswerte Geschichten am laufenden Band
04.09.2019
Über die hohe Kunst der Fädenzieherei – Liebenswerte Geschichten am laufenden Band
Erlaubt sei eine Frage vorweg: Ist es möglich, sein Herz an eine Puppe oder besser an eine Marionette zu verlieren? Ja, es ist möglich. Und zwar an den durchweg liebenswerten, leicht schusseligen Conférencier „François Gelatti“, der als Moderator („manchmal hänge ich hier auch einfach nur ein bißchen rum“) in der genialen Puppentruppe von Marionettenkünstler Stephan Blinn durch das Programm führt. Er stellt dabei so charmant die Protagonisten „aus vier Nationen und drei Holzarten“ vor, dass ihm die Sympathien (und Herzen) der Zuschauer nur so zufliegen.
Der europaweit bekannte Künstler Stephan Blinn, der mit seinen Marionetten und „Geschichten am laufenden Faden“ sein Publikum in eine Welt des Pariser Varieté entführt (und dabei verzaubert), war zum wiederholten Male Gast des Kulturrings. Die Veranstaltung im ausverkauften Kulturtreff war die Auftaktveranstaltung zur Waldbronner Woche, aber auch innerhalb der Veranstaltungsreihe „50 Jahre Waldbronner Kulturring“.
Mit viel Humor und genialem Fingerspitzengefühl erzählt Stephan Blinn die Geschichten seiner Protagonisten am laufenden Band. Und fasziniert dabei die Zuschauer, denn die hohe Kunst der Fädenzieherei hat der Durlacher perfektioniert. Wenn der charmante „François Gelatti“ eloquent durchs Programm führt, der Gummimensch Chew Wing Gum seine Gelenke verbiegt, der Fahrradakrobat Salvatore Bicycletta über die Bühne fliegt oder der Modellathlet „Samson“ jeden seiner hölzernen Muskeln spielen lässt, vergisst der Zuschauer, dass die Puppen am seidenen Faden hängen. Blinns Marionetten, jede einzelne mit einem ganz speziell herausgearbeiteten Charakter, fangen an zu leben. So leidet der Zuschauer mit, wenn der etwas melancholisch angehauchte Schlittschuhläufer „Fritz Flitz“, zunächst seine eher vorsichtigen ersten Schwünge tätigt, aber er wird zu wahren Begeisterungstürmen hingerissen, wenn „Fritz Flitz“ sich von Runde zu Runde steigert und sich zu einem wahren Kurvenmeister entwickelt, untermalt von passenden Musikstücken.
Ob bei der Starsopranistin „Josepfine Baker“, beim leicht verwirrten Starpianisten Leonhard Wettstein oder beim genialen ungarischen Stargeiger „Geigari Gulsch“: Es hat den Anschein, als ob jeder Ton, jeder Tastendruck oder Geigenstrich genau mit der Musik übereinstimmt. Genial!
Der Durlacher Künstler, der im kommenden Jahr sein 40zigsten Bühnenjubiläum feiert, konzipiert und schnitzt seine Marionetten alle selbst. Ebenso wie er die Kostüme näht, bringt er seinen Puppen laufen und „sprechen“ bei. Nach zweieinhalb Stunden kurzweiligem Programm war das Publikum begeistert. Und der ein oder andere Zuschauer (insbesondere die Verfasserin dieser Zeilen) nahm schweren Herzens Abschied von den liebenswerten Artisten, insbesondere vom charmanten „François Gelatti“.