19. Jahrhundert

Große "Dorfarmut" in allen Ortsteilen

Auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das dörfliche Leben bestimmt von großer materieller Not. Dies war eine Folge des sprunghaften Bevölkerungswachstums seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Im Zeitraum zwischen 1740 und 1790 stieg in Reichenbach die Einwohnerzahl von 237 auf 365, in Busenbach von 241 auf 395 und in Etzenrot von 41 auf 149. Die Landwirtschaft bot bei weitem nicht mehr genügend "individuellen Nahrungsspielraum" und Beschäftigungsmöglichkeiten. Es kam zu Massenelend auf dem Land, zu großer "Dorfarmut". Besonders hart betroffen von dieser Entwicklung war Etzenrot. Schon um die Jahrhundertwende war dort die Not so groß, dass die Bürger den Landesherren in ihrer Verzweiflung um die Genehmigung baten, ihre Gemarkung zu verkaufen und sich an anderen Orten niederlassen zu dürfen. Stattdessen erlaubte er ihnen, 100 Morgen Gemeindewald an den Staat zu verkaufen, um ihre Schulden zu bezahlen. Dieses Zugeständnis linderte zwar die unmittelbare Not, aber die Wurzel des Übels, das Missverhältnis zwischen der wachsenden Bevölkerung und den mangelnden Erwerbsquellen konnte es nicht beseitigen, und so gab die Gemeinde Etzenrot der Regierung in einer erneuten Bittschrift zu bedenken, dass "Industrie" eine der wenigen Möglichkeiten sei, dem Dorf wieder zu Wohlstand zu verhelfen.

Frühindustraliserung und Missernten

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Bedeutung der Spinnerei und Weberei Ettlingen für die Dörfer im vorderen Albtal ermessen. Diese zeitweise größte Textilfabrik Südwestdeutschlands, die schon wenige Jahre nach ihrer Gründung (1836) rund 1.200 Personen beschäftigte, gab auch vielen Bürgern unserer Gemeinden Arbeit, die ihnen wenigstens das Existenzminimum sicherte.

So wichtig die Frühindustrialisierung im vorderen Albgau war, von der akuten Agrarkrise der 1840er Jahre blieben auch die Dörfer dieser Region nicht verschont, und zu allem Unglück geriet gleichzeitig die Spinnerei und Weberei Ettlingen in die erste schwere Krise ihrer noch jungen Geschichte. Nach den Missernten der Jahre 1845 und 1846 erreichte die Massenverelendung in Baden ihren Höhepunkt. Hungersnot und Teuerung lösten in unseren Dörfern eine förmliche Auswanderungswelle aus. 1847 emigrierten 61 Personen aus Reichenbach, 51 aus Busenbach und eine ledige Mutter mit zwei Kindern nach Algerien, "weilen sie sich in ihrem Vaterland nicht mehr genügend ernähren" konnten. Organisiert wurde die "Kollektivauswanderung" von Agenten der Regierung Frankreichs, das um diese Zeit mit der "kolonialen Durchdringung" dieses nordafrikanischen Landes begann.

Revolution und Auswanderung

Die Not der Landbevölkerung war in Baden eine der Ursachen für den Ausbruch der Revolution von 1848/49. Aber nicht alle Dörfer gerieten in Aufruhr. Dass Reichenbach eines der Revolutionszentren im Albgau wurde, ist zweifellos dem politischen Einfluss von Pfarrer Karl Kast zuzuschreiben, für den am Vorabend der Gedenkfeiern zur Badischen Revolution an der Reichenbacher Kirche eine Gedenktafel enthüllt wurde. Auch der Lehramtskandidat Kilian Ochs aus Busenbach wurde der Aufwieglung beschuldigt. Beide Männer entzogen sich mehrjährigen Zuchthausstrafen durch die Flucht.

In Baden erreichte die Auswanderung nach Nordamerika in den Jahren 1851 bis 1854 ihren Höhepunkt. Allein in diesem kurzen Zeitraum emigrierten mindestens 50 Personen aus Reichenbach und über 40 aus Busenbach in die Vereinigten Staaten, "um alldort (ihr) Brod besser verdienen zu können".

Steigende Einwohnerzahlen

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besserten sich die "volkswirtschaftlichen Zustände", nicht zuletzt deshalb, weil dank der Auswanderung das Land Baden sein wirtschaftliches Gleichgewicht wiedererlangt hatte. Dank der guten Beschäftigungsmöglichkeiten in der nahen Textilindustrie stiegen gegen Ende des Jahrhunderts die Einwohnerzahlen in unseren Dörfern wieder an, nachdem sie aufgrund der Auswanderungsverluste zeitweise zurückgegangen waren, wie sich aus der folgenden Übersicht entnehmen lässt:

Busenbach Etzenrot Reichenbach
1852 919 Einwohner 297 Einwohner 770 Einwohner
1871 871 Einwohner 279 Einwohner 713 Einwohner
1895 1068 Einwohner 307 Einwohner 875 Einwohner
1910 1401 Einwohner 578 Einwohner 1211 Einwohner